Der EuGH entschied am 05.07.2018 in der Rs. Marle Participations – C-320/17, dass eine Holdinggesellschaft grundsätzlich zum vollen Vorsteuerabzug aus Kosten im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften berechtigt ist. Voraussetzung ist, dass die Holdinggesellschaft in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingreift und insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Eine wirtschaftliche Tätigkeit liegt bereits dann vor, wenn die Holdinggesellschaft steuerpflichtige Vermietungsleistungen an ihre Tochtergesellschaften ausführt.
1. Einführung
Bereits in den verbundenen Rechtssachen C-108/14 Larentia + Minerva und C-109/14 Marenave bejahte der EuGH ein volles Vorsteuerabzugsrecht, wenn die Holdinggesellschaft in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaft eingreift und hierdurch steuerpflichtige Umsätze erbringt (vgl. KMLZ Newsletter 19/2015). In dem vorliegenden Fall erbrachte die Holdinggesellschaft lediglich Vermietungsleistungen an ihre Tochtergesellschaften. Aus diesem Grund entschloss sich der Conseil d’État, den EuGH erneut zum Vorsteuerabzug einer Holdinggesellschaft zu befragen.
2. Sachverhalt
Die Klägerin war eine Holdinggesellschaft, deren Gesellschaftszweck darin bestand, Anteile an mehreren Tochtergesellschaften zu verwalten. Zudem vermietete die Holdinggesellschaft Gebäude an ihre Tochtergesellschaften. Im Rahmen einer Umstrukturierung veräußerte und erwarb die Holdinggesellschaft Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften. Sie nahm aus den Kosten im Zusammenhang mit dieser Umstrukturierung den Vorsteuerabzug im vollen Umfang vor. Das zuständige Finanzamt versagte den Vorsteuerabzug mit der Begründung, dass die Kosten nicht im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit der Holdinggesellschaft stünden.
Das Vorlagegericht wollte vom EuGHwissen, ob die Vermietung eines Gebäudes durch eine Holdinggesellschaft an ihre Tochtergesellschaft einen Eingriff in deren Verwaltung darstellt, der als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen ist und zum Vorsteuerabzug berechtigt.
3. Entscheidungsgründe
Der EuGH wiederholt zunächst seine Grundsätze aus seiner ständigen Rechtsprechung zu Holdinggesellschaften, wonach das bloße Halten von Beteiligungen grundsätzlich keine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Beteiligung mit unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffen der Holdinggesellschaft in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften einhergeht. Die Eingriffe stellen eine wirtschaftliche Tätigkeit dar, wenn es sich bei den Eingriffen um steuerpflichtige Leistungen handelt.
Im vorliegenden Fall gelten bei einer wirksamen Option zur Umsatzsteuerpflicht auch die Vermietungsleistungen der Holdinggesellschaft an ihre Tochtergesellschaften als Eingriffe in die Verwaltung. Dies begründet eine wirtschaftliche Tätigkeit der Holdinggesellschaft. Deshalb kommt der EuGH in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass die Holdinggesellschaft grundsätzlich zum vollen Vorsteuerabzug aus Kosten im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften berechtigt ist.
Sofern die Holdinggesellschaft in die Verwaltung sämtlicher Tochtergesellschaften eingreift, sind die Vorsteuern aus den o. g. Kosten als Teil der allgemeinen Aufwendungen der Holdinggesellschaft vollständig abzugsfähig. Sofern die Holdinggesellschaft nur in die Verwaltung einiger Tochtergesellschaften eingreift, kann sie die Vorsteuer lediglich anteilig abziehen. Es besteht nur dann kein Recht zum Vorsteuerabzug, wenn die Holdinggesellschaft die Gebäude steuerfrei an ihre Tochtergesellschaften vermietet (vgl. § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG).
Der EuGH gewährt den vollständigen Vorsteuerabzug auch dann, wenn die Eingangsleistungen, aus denen die Holdinggesellschaft den Vorsteuerabzug begehrt, betragsmäßig in einem Missverhältnis zu den steuerpflichtigen Leistungen an die Tochtergesellschaften stehen. Der EuGH begründet dies insbesondere damit, dass das Recht zum Vorsteuerabzug nicht an das Ergebnis der Wirtschaftstätigkeit des Unternehmers geknüpft werden darf.
4. Praxisfolgen
Die Entscheidung des EuGH ist inhaltlich überzeugend und sehr begrüßenswert. Der EuGH bestätigt seine ständige Rechtsprechung zu Holdinggesellschaften. Holdinggesellschaften dürfen sich über den vollen Vorsteuerabzug aus Kosten im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften freuen, wenn sie steuerpflichtige Leistungen an diese Tochtergesellschaften erbringen. Diese Rechtsprechung ist auch auf andere Eingangsleistungen der Holdinggesellschaft übertragbar, wenn die Eingangsleistungen unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Holdinggesellschaft zusammenhängen.
Erfreulich ist, dass der EuGH bereits steuerpflichtige Vermietungsleistungen an Tochtergesellschaften ausreichen lässt, um eine wirtschaftliche Tätigkeit einer Holdinggesellschaft zu begründen. Holdinggesellschaften sollten sicherstellen, dass sie in irgendeiner Form steuerpflichtige Leistungen an ihre Tochtergesellschaften erbringen (wie z. B. Vermietungs- oder Managementleistungen).
Zuvor war unklar, in welchem Umfang eine Holdinggesellschaft in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingreifen muss. Diese Frage führte in der Vergangenheit regelmäßig zu Diskussionen mit der Finanzverwaltung. Vor diesem Hintergrund sehr zu befürworten ist die Klarstellung des EuGH, dass es für die Frage des Vorsteuerabzugs nicht auf den Umfang der an die Tochtergesellschaften ausgeführten steuerpflichtigen Leistungen ankommt. Damit dürften Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung zu dieser Frage der Vergangenheit angehören oder zumindest erleichtert werden.